Forschungsgebiet, Gegenstand und Aufgaben der Stilistik
Vom gegenwärtigen Standpunkt aus gesehen, dürfen die drei historischen Grundformen der Dichtung – Epos, Lyrik, Drama – nicht mehr als funktionale Gattungsstile angesehen werden. Infolge des künstlerischer Umwandlungsprozeses haben sie die Bedeutung von literarischen Genrestilen erlangt.
Individualstil ist eine interessante Erscheinung in der Stilistik. Barbara Sandig definiert den Begriff als die Art, sich sprachlich auszudrücken, charakteristisch für ein bestimmtes Individuum. Nach ihrer Auffassung kann ein individueller (persönlicher) Stil entstehen, um die eigene Position, Einstellung im konkreten Fall zu signalisieren.
Dieses Gedicht klingt nach Heine; diese Rede ist in einem sehr persönlichen (individuellen) Stil gehalten.
Die Individuen geben ihrem Sprachgebrauch einen persönlichen Charakter. Der Gesprechsstil und der Zeichengebrauch ist persönlich, ein Ausdruck individueller Weltsicht.
Riesel versteht darunter die individuelle Verwendung allgemeiner und besonderer Gesetzmäßigkeiten, diktiert durch diesen oder jenen funktionalen Stil. Besondere Rechte und Freiheiten bezitzt der Individualstil des Schriftstellers. Er gehört zu den stilistischen Grundbegriffen. Dabei muß man unter zwei Begriffen uterscheiden: unter dem sprachlichen Individualstil eines Schriftstellers und unter dem literarisch-künstlerischer Stil. Unter dem ersten verstehen wir das System der individuellen künstlerischen Ausdrucksweise, die durch bestimmte Verwendung und Kombinierung des ausgewählten Baumaterials entsteht: einzelne Wörter und Wendungen, morphologische Formen und syntaktische Konstruktionen, phonetische Gegebenheiten verschiedener Art, territoriale und soziale Dialekte. In diesem Fall können wir – wenigstens zum teil – von den ideologischen Faktoren (Zugehörigkeit des Autors zu einer bestimmten literarischen Richtung, ästhetische Einstellung u. ä.) loslösen.
Zum Unterschied vom linguistischen Begriff drückt der Terminus literarisch-künstlerischer Stil einen literartheoretischen Begriff aus. Er stellt die Gesamtheit ihres ideologischen und sprachlichen Ausdrucks dar, die Gesamtheit ihrer weltanschaulichen und ästetischen Ansichten, offenbahrt die Methode des gesamten Schaffens und umfaßt folgende Einzelfaktoren: Sujet, Komposition, Charakteristik der handelnden Personen, Wahl und Verwendung der sprachlichen Ausdrucksmittel. Mit anderen Worten: Sprache und sprachlicher Individualstil sind eine Komponente des literarisch-künstlerischen Stils. Zwischen diesen zwei Begriffen herrscht ein kompliziertes Wechselverhältnis.
Aus dem Gesagten geht hervor, dass bei der Erforschung von Sprache und Stil des Schriftstellers eine gewisse Berührung zwischen Stilistik und Literaturwissenschaft unvermeidlich ist.
Stilfärbung
Zu einer Verwirrung der stilistischen Grundbegriffe führen Bezeichnungen wie z. B. „feierlicher“, „zärtlich-intimer“, „humoristischer“, „ironischer“ oder „hoher“ und „vulgärer Stil“. Nach Riesel ist es nichts anderes als Stilfärbung.
Es gibt zwei Kategorien von Stilfärbung, die in Sprachwirkligkeit in ständiger Wechselbeziehung zueinander stehen:
1)funktionale Stilfärbung;
2)semantisch- expressive Stilfärbung.
Unter „funktionaler Stilfärbung“ verstehen wir jenes spezifische Gepräge der lexischen, grammatischen, phonetischen Mittel, das gerade auf ihre Zugehörigkeit zu einem bestimmten Sprachstil hinweist.
Die f. Stilf. bricht aber auch in einzelnen Sprachelementen durch: in bestimmten Wörtern und Wendungen, Konstruktionen und Intonationsvarianten, die gerade die Zugehörigkeit zu diesem oder jenem Stil verraten:
Ich danke verbindlichst und Ich danke sehr.
In jedem funktionalen Stil finden sich bestimmte fuktional-stilistisch gefärbte Bestandteile.
Besonders kraft offenbart sich die funktionale Färbung im Stil des offiziellen Verkehrs. Dazu ausführliche Beweise aus einem Gattungsstile, dem sog. Kanzleistil. Eine typische Amtsterminologie: für die Zahlung aus dem Akkreditiv ist die Aushändigung aller Dokumente erforderlich(kaufmänischer Schriftverkehr).Präpositionen wie an, auf, durch, für, mit, wegen usw. Sind in allen Stilen gleicherweise gebraucht. Hingegen dienen die bedeutend entstandenen Wörter behuts, zweks, vermittels u.a. als typische Amtspräpositionen.
Für die funktionale Färbung des Kenzleistils ist ferner starker Gebrauch von Substantiven auf -ung, -heit, -keit, -schaft gekennzeichnet. Stilistisch neutral klingt der Satz: Der Fall kann in einigen Tagen erledigt werden.
Die Erledigung des Falles kann erst in einigen Tagen erfolgen.(Das Verb erledigen ist zum abstrakten Subjekt geworden).
Funktionale Färbung des Kanzleistils bewirken auch gewisse grammatische Konstruktionen, wie etwa die Genitivketten in folgenden Fügungen: