Stilistische Funktion der Intonation
1) Intonation und ihre Elemente als Ausdrucksmittel verschiedener stilistischen Schattierungen; Rhythmus.
2) Klangsmittel.
Die phonetische Ausgestaltung der Rede im ganzem hдngt auch von der Sprechsituation ab. Vor einem groβen Auditorium, bei der Wiedergabe wichtiger offizieller Mitteilungen ist der Gesamtcharakter der Rede anders, als bei privater Unterhaltung im Alltagsleben. Im ersten Fall verlangsamen wir das Tempo, erhцhen die Tonstдrke und die Stimmlage; in dem Bestreben, mцglich deutlich zu artikulieren, kцnnen sogar unbetonte Silbe betont werden. Der besseren Wirkung wegen werden Pausen und intonatorische Grenzen dort eingelegt, wo sie bei anderer Sprechsituation nicht sein kцnnten. Die Melodie wird oft eintцnig, es hцrt sich an, als ob man diktierte. Die ganze Sprechweise, deren man sich bei цffentlichen Rede oder Bekanntmachungen — im Hцrsaal, auf der Tribьne, bei Gericht, kurz gesagt, bei offizielen Anlдssen — bedient, klingt ein wenig fцrmlich und gewollt-eindringlich (funktional berechtigt).
(Ein Beispiel dazu ist unsere heutige Vorlesung. Ich versuche mцglichst deutlich und ausdrucksvoll auszusprechen).
Im Gegensatz dazu herrscht im privaten Alltagsleben eine ungezwungene Sprechweise, bei der die Vokale manchmal sogar in betonten Silben reduziert werden und die Endkonsonanten fortfallen; einige Silben und Formwцrter werden verschluckt, dazu Auslassen ganzen Wцrter, die sich durch die Sprechsituation erьbrigen. Typisch ist in diesem Fall schnelles Tempo, rasch wechselnde melodische Interwalle u.д.
Hab doch gsagt! Is nicht wahr! Guntak!
Aus dem Gesagten geht hervor, dass die rhythmisch-stilistischen Ausdrucksmittel der Rede nur in untrennbaren Verbindung mit ihrer Verkehrsfunktion untersucht werden dьrfen. Дndert sich der Gedanke, so дndert sich der Mitteilungscharakter, so дndert sich – zusammen mit Lexik und Syntaxik – auch die Intonation der Rede. Und wenn wir ьber die Intonation sprechen, so verstehen wir darunter eine komplexe Erscheinung die solche Elemente einschlieβt wie: Akzent (Wort- und Satzakzent), Tonhцhenverlauf (Satzmelodie) und Pausengliederung.
Der Akzent ist eine dynamische Hervorhebung durch Verstдrkung des Atemdrьcks. Es ist zu unterscheiden zwischen Wort- und Satzakzent. Der Wortakzent ist im Deutschen in der Regel fest, also nicht stilistisch variabel. Doch in manchen Fдllen kцnnen wir seine begrenzte stilistische Mцglichkeiten verwenden. Dies betrifft zunдchst den Kontrastakzent: unabhдngig von der festen Akzentregelung kann jede Silbe eines Wortes einen Hauptakzent erhalten, wenn sie kontrastierend hervorgehoben werden soll:
Er soll nicht vorlesen, sondern vortragen. Das ist kein Stadtpark, sondern eine Stadtwьste.
Der Satzakzent hat im deutschen eine ausgeprдgte semantische Funktion und ist in diesen Fдllen nicht stilistisch variabel:
Diesen Brief hat er selbst geschrieben.
Diesen Brief hat er selbst geschrieben.
Tonhцhenverlauf (Satzmelodie) kann im Deutschen distintiv sein — fallend signalisiert er die Frage (Interrogativitдt); ebener Verlauf signalisiert Nichtabgeschlossenheit (Progredienz).
Die Pausengliederung kann ebenfalls semantisch destinktiv sein und ist dann in manchen Fдllen im geschriebenen Text durch die Interpunktion markiert.
Sie, sagte er, soll kommen.
Sie sagte, er soll kommen.
Beim spontanen Sprechen sind Pausen oft durch die Suche nach dem treffenden Ausdruck bedingt und werden nicht selten durch Interjektionen “ьberbrьckt” (дh, hm, e.). Darin zeigen starke individualstilistische Unterschiede.
(Sondig, Guten Morgen, Frau Professor! 1986, 95.)
Alle intonatorisch-stilistischen Faktoren mьssen im Satz- und Groβzusammenhang untersucht werden. Aber auch der Satzzusammenhang genьgt nicht immer zur Klдrung der intonatorischen Faktoren. Nehmen wir den einfachen Fall: die logische Satzbetonung. Wie soll der folgende, aus dem Groβzusammenhang herausgerissene Satz sinngemдβ gelassen werden?