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BERLIN

Auch der westliche Teil bringt eine Erblast in das wiedervereinigte Ber¬lin ein.

In der Zeit der Teilung hatte West-Berlin einigermaßen den An¬schluß halten können an den west¬deutschen Lebensstandard. Die Nachteile aus Insellage, Kapital¬flucht und Funktionsverlusten wur¬den wenigstens teilweise kompen¬siert durch Steuervorteile für Unter¬nehmen und Beschäftigte sowie manche „Leistungsvorsprünge" in der Ausgestaltung sozialer und kultureller Einrichtungen. Dies alles aber war nur möglich durch eine Berlin-Hilfe und Berlin-Förderung von zuletzt fast 20 Mrd. DM jähr¬lich. Durch eigene Steuereinnah¬men konnte West-Berlin seinen Haushalt zu weniger als einem Vier-tel decken. Die Subventionen blie¬ben überdies als „süßes Gift" nicht ohne schädliche Folgen für den Un¬ternehmungsgeist von Teilen der Berliner Wirtschaft.

West-Berlin hatte ja nicht nur die Hauptstadt-Funktion eingebüßt, auch mit allem, was neben Parla¬ment, Ministerien und Behörden daran hängt, also z. B. Botschaften, Parteizentralen, Verbandsgeschäftsstellen und entsprechender Medien¬präsenz. In den unsicheren fünf¬ziger und sechziger Jahren hatten überdies die Hauptquartiere und Zentralverwaltungen der Wirtschaft die Stadt nahezu völlig verlassen und waren nach Frankfurt, Köln, München, Stuttgart oder Hannover gezogen. Die technologisch zu¬kunftsträchtigen Produktionsstand¬orte, aber auch die Forschungsab¬teilungen und die industrienahen Dienstleistungen vom Software-Unternehmen bis zur Werbeagentur blühten nun in der Nähe der neuen Vorstandssitze. In West-Berlin blie¬ben die „Werkbänke", oft auch nur die mit den alten Technologien, die zuerst einer Rezession oder der Rationalisierung zum Opfer fielen.Das Qualifikationsniveau der Ar¬beitnehmer - und damit auch deren Einkommen - blieb statistisch deut¬lich hinter dem der industriellen Ballungszentren im Westen zurück. Mitte 1990 hatten über 40 % der West-Berliner Beschäftigten keine abgeschlossene Berufsausbildung. Akademischer Nachwuchs und auf¬strebende Führungskräfte standen unter „Abwanderungsdruck", das „große Geld" und zahlungskräftige Spitzenverdiener ließen sich an Rhein und Ruhr, im Taunus, an oberbaeyrischen Seen oder an der Hamburger Elbchaussee nieder, aber kaum noch am Kurfürsten¬damm oder in den Villenvierteln des Grunewalds.

Die geschilderten Schwierigkeiten machen deutlich, daß Berlin, das zuvor vom Schicksal der Teilung besonders betroffen war, jetzt als „Werkstatt der deutschen Einheit" die Probleme des Zusammenwach¬sens der Deutschen am intensivsten erfährt und besondere Anstrengun¬gen unternehmen muß, sie zu überwinden.

Dabei bringt der kommunale Zu¬sammenschluß mit West-Berlin und die unmittelbare Nähe westlichen Standards für Ost-Berlin im Ver¬gleich zu den meisten Regionen in den neuen Ländern erhebliche Vor¬teile. Über 110.000 Ost-Berliner (und weitere 55.000 Brandenburger) ha¬ben inzwischen einen Arbeitsplatz im Westteil der Stadt gefunden und werden in der Regel zum dortigen Tarif entlohnt.

Die Verwaltungserfahrung West-Berlins kommt der Gesamtstadt zu¬gute und erleichtert den dennoch schwierigen Aufbau der Bezirksver¬waltungen, Amtsgerichte, Finanz¬ämter und sonstigen Behörden im Ostteil der Stadt.

Eine bedeutende Rolle bei der Ge¬staltung der Zukunft spielt natür¬lich die Übernahme der Hauptstadt¬funktionen in den nächsten Jahren. Der Umzug von Parlament und Re¬gierung wird weitgehend „arbeits¬platzneutral" vonstatten gehen, 12.000 Arbeitsplätze will der Bund von Bonn nach Berlin verlagern, dafür soll Berlin 7.000 Arbeitsplätze in Bundesbehörden nach Bonn ab¬geben und 2.000 in die neuen Bun¬desländer. Aber das Signal, das von der Hauptstadtentscheidung aus¬geht, erreicht auch andere Institutio¬nen und vor allem Unternehmen, die den Standort Berlin jetzt wieder in ihre Überlegungen einbeziehen. Gerade die östlichen Stadtbezirke profitieren von dieser Entwicklung.

Berlin ist die größte Industriestadt zwischen Paris und Moskau mit über 200.000 Arbeitsplätzen im Ver¬arbeitenden Gewerbe.

Insgesamt sind über 1,5 Mio. Per¬sonen in Berlin erwerbstätig, rund die Hälfte von ihnen im Dienst¬leistungsbereich (ohne Handel und Verkehr), und hier vor allem im Sek¬tor der staatlichen Dienstleistungen. Knapp 230.000 Menschen arbeiten im Berliner Handwerk.

Das Bruttoinlandsprodukt Berlins betrug 1991120 Mrd. DM (und lag so beispielsweise deutlich über dem der EG-Staaten Portugal, Irland oder Griechenland). Zur Wirtschaftslei¬stung der Bundesrepublik Deutsch¬land steuerte Berlin damit etwa 4,5% bei. Das entspricht genau seinem Bevölkerungsanteil und dem Anteil der Erwerbstätigen.

Gleichzeitig ist Berlin eine der führenden Kongreßmetropolen der Welt, es liegt bezogen auf die An¬zahl internationaler Tagungen auf dem fünften Platz.

Über 400 Firmen kamen seit 1990 neu in die Stadt, alleine 120 davon im ersten Halbjahr 1992. Viele dieser Unternehmen begründeten ihren Sitz im Ostteil Berlins. Oft handelt es sich dabei bislang allerdings um Außenstellen oder Regionaldirektio¬nen Ost, durch die noch nicht viele Arbeitsplätze bereitgestellt werden. Aber immerhin gab es Ende 1992 in Berlin rund 180 größere begonnene oder startreife Investitionsvorhaben mit einem Volumen von über 37 Mrd. DM. Dadurch entstehen die Voraussetzungen für ungefähr 130.000 neue Arbeitsplätze, die meisten im Ostteil der Stadt.

Auch bedeutende Firmen wie Daim¬ler-Benz und Sony siedeln sich mit spektakulären Bauprojekten in Ber¬lin an. IBM Deutschland beschloß im Sommer 1992, seinen offiziellen Firmensitz nach Berlin zu verlegen.

Der positive Trend des Wirt¬schaftsstandorts Berlin wird sich in den nächsten Jahren noch dadurch verstärken, daß die Regierungs¬funktionen von Bonn in die Bundes¬hauptstadt verlegt werden. Es ist davon auszugehen, daß sich in die¬sem Zusammenhang auch verstärkt Verbände, Institutionen und Unter-nehmen in Berlin niederlassen. Durch die Veränderungen in Euro¬pa, vor allem die Erweiterung der Europäischen Gemeinschaft, wird Berlin außerdem aus der Randlage herauskommen, in der es als östlich¬ste Großstadt der EG bislang ist.

Allerdings hat die Stadt gegen¬wärtig den Strukturwandel zu be¬wältigen, der sich aus den Verände¬rungen in Deutschland und Europa ergibt.Nach den Planungen und politi¬schen Erklärungen des Deutschen Bundestages und der Bundesregie¬rung ist davon auszugehen, daß Berlin in der zweiten Hälfte der 90er Jahre die Arbeitsstätte dieser Ver¬fassungsorgane wird. Dies ent¬spricht den Festlegungen des Eini¬gungsvertrages sowie dem Beschluß des Deutschen Bundestages vom 20. Juni 1991.


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